Studienseminar Koblenz - Das Lehr-Lern-Modell

 

Das Lehr-Lern-Modell fungiert in der Ausbildung des Berufspraktischen Seminars als Referenz- und Strukturierungsrahmen. Es ist darüber hinaus Erkenntnismittel (Differenzierung von Lernerperspektive und Lehrerrolle), Planungsinstrument (für Entwürfe und Stundenraster), Kommunikationsmittel (Bezugsmodell für Begrifflichkeiten) und Reflexionsmittel (Kriterien der Unterrichtsbewertung).

Lehrende brauchen Modelle für Lehr-Lern-Prozesse; Lehrende haben Modelle für Lehr-Lern-Prozesse, denn niemand unterrichtet „modelllos“. Die Frage ist, wie implizit oder explizit diese Modelle das jeweilige Lehren bestimmen und wie öffentlich und transparent die Modelle und Vorstellungen sind. In der Ausbildung des Berufspraktischen Seminars haben wir uns für ein Modell des Lehr-Lern-Prozesses entschieden, das der Ausbildung als Referenz- und Strukturierungsrahmen zugrunde liegt.

Viele gängige Lehr-Lern-Modelle sind bei genauerem Hinsehen bloße Lehr-Modelle, d.h. sie fokussieren auf das Lehren, auf das, was die Lehrkraft tut. Ein Lehr-Lern-Modell muss aber auf das Lernen fokussieren. Gute Lehrprozesse allein, bringen nicht zwingend gute Lernprozesse hervor. Das ist eine Warnung vor dem Lehr-Lern-Kurzschluss: Was gelehrt wird, wird auch gelernt.

Das vorliegende Lehr-Lern-Modell trennt deutlich zwischen Lehrprozessen und Lernprozessen unter Beachtung der gegenseitigen Wechselwirkung. Es weist die Aufgaben und Rollen zu: Die Lernenden lernen, die Lehrkraft steuert, moderiert, und fördert die Lernprozesse. Sie übernimmt die volle Verantwortung für die professionelle Gestaltung der Lernumgebungen und für die Ermöglichung vieler optimaler Lernprozesse. Wenn das Lernen im Fokus des Modells steht, dann muss es zunächst die Lernschritte und die Aktivitäten der Lernenden modellieren.

Das Modell des Lehr-Lern-Prozesses setzt einerseits die Lernvorgänge der Lernenden zentral in den Unterricht und modelliert die Lehrleistungen der Lehrenden als Teil der Lernumgebung. Schülerinnen und Schüler treten mit Vorwissen, Vorerfahrungen und mit einem Bestand an Kompetenzen in die Lernumgebung des Unterrichts ein und verlassen diese Lernumgebung mit mehr Wissen, mehr Können und ausgeprägteren Kompetenzen. Das Lernen findet in einer Folge von Lernschritten in der Zeit statt. Die Lernschritte können fach-, themen- und kompetenzspezifisch sein (Präzisierungen finden sich in den Ausführungen der Fachseminare). Jedoch findet in jeder Lerneinheit an passender Stelle eine Arbeit an den Lernmaterialien statt, die Schülerinnen und Schüler bearbeiten also Aufgabenstellungen, werten Informationen aus, setzen sich mit den fachlichen Inhalten auseinander und entwickeln dabei Kompetenzen. Meistens entsteht dabei ein Lernprodukt materieller Art (z.B. Tabelle, Mindmap, Text, Skizze, Bild, Diagramm, Experiment, …) oder auch immaterieller (geistiger) Art in Form von Erkenntnissen. Dieser Lernschritt ist der zentrale, alle vorgängigen führen hin, alle nachfolgenden bauen darauf auf. Die erstellten Lernprodukte werden oft im Plenum diskutiert und verhandelt. Ein Lernschritt, in dem vernetzt und transferiert wird, schließt die Lernsequenz häufig ab.

Die Leistungen der Lehrenden bestehen in den Steuerungen des Lernprozesses.

Steuerung 1: Aufgabenstellungen
Gute Aufgabenstellungen sind der Motor förderlicher Lernumgebungen. Aufgabenstellungen beinhalten Arbeitsaufträge, Lernmaterialien und Methoden. Letztere steuern maßgeblich den Lernvorgang und materialisieren die Lernumgebungen.

Steuerung 2: Materialien 
In der Mitte des Lernens bearbeiten die Lernenden Lernmaterialien, stellen Lernprodukte her und diskutieren dieselben. Mit den Lernmaterialien (z.B. Gegenstände, Experimentiermaterialien, Bilder, Zeichnungen, Texte, Hörtexte, Filme, Comics, Sprechblasen, Berichte, …), die von Methoden und Medien (z.B. Lehrervortrag, Experiment, Film, Sachtext, Unterrichtsgespräch, multimediale Lernumgebung, Internetrecherche, Podcast, Experteninterview, …) begleitet sind, steuert die Lehrkraft die Lernprozesse material.

Die Steuerungen 1 und 2 sind meistens „Schreibtischprodukte“ der Lehrkraft, sind vorbereitet und haben materialen Charakter. Die Steuerungen 3 und 4 sind immer situativ und haben personalen Charakter.

Steuerung 3: Moderation
Der Lernprozess wird von der Lehrkraft moderiert und personal gesteuert. Ihrem professionellen Geschick obliegt es, die Lernmaterialien moderierend in den Lernprozess einzubinden und im Diskurs zu verhandeln. Die Moderation ist immer persönlich gefärbt, muss aber unabhängig von der Lehrerpersönlichkeit professionellen Standards genügen.

Steuerung 4: Rückmeldung und Reflexion
Von der Lehrkraft angeleitete Reflexionen über die Lernvorgänge (Metareflexionen) und individuelle qualifizierte Rückmeldungen durch die Lehrkraft sind im Lernprozess wichtig, um Könnensbewusstsein, Lernerpersönlichkeit und Selbstvertrauen zu entwickeln.

Das Ausbildungsprogramm beschreibt, wie Referendarinnen und Referendare ihre beruflichen Kompetenzen erwerben. Es verbindet die Handlungssituationen unter Bezugnahme auf die Standards passend mit den Inhalten/Themen und strukturiert gleichzeitig die Ausbildung zeitlich. Unserem Ausbildungsprogramm im Berufspraktischen Seminar liegen fünf Ausbildungsprinzipien zugrunde:
1. Es wird von Anfang an in allen Handlungsfeldern gleichzeitig und einander Bezug nehmend ausgebildet (Komplexität von Anfang an).
2. Die Ausbildung erfolgt gestuft nach Kompetenzständen und nicht portioniert, z.B. nach Themen (Stufung statt Portionierung).
3. Die Themen/Inhalte werden den Handlungssituationen zugeordnet und nicht umgekehrt (Primat der Handlungssituationen vor den Themen).
4. Kompetenzstand und Ausbildungsstand werden fortlaufend miteinander verglichen, um Stützungsmaßnahmen zu gestalten (Abgleich von Kompetenz- und Ausbildungsstand).
5. Der Ausbildung liegt ein Lehr-Lern-Modell als Referenz- und Strukturierungsrahmen zugrunde (Lehr-Lern-Modell).

Die Ausbildung fokussiert auf:

  • Das Lernen und die Professionalisierung in der Planung, Gestaltung und Organisation von Lernschritten,
  • die Lehrleistungen und die Professionalisierung der Steuerungen von Lernprozessen,
  • die Entwicklung der eigenen Lehrerpersönlichkeit.

Dementsprechend werden in der Ausbildung Pflichtmodule und Wahlmodule angeboten. Die Pflichtmodule entwickeln berufliche Grundkompetenzen in Bezug auf

  • die Planung, Gestaltung und Organisation von Lernschritten.
  • die Steuerung von Lernprozessen.
  • die Entwicklung der Selbstreflexion, des Könnensbewusstseins und der Lehrerpersönlichkeit.

Das Lehr-Lern-Modell ist Referenz- und Strukturierungsrahmen, aber auch selbst Gestaltungsgrundlage für die Ausbildungsveranstaltungen im Berufspraktischen Seminar. Die Ausbildungsveranstaltungen sind gemäß der Lernschrittfolge im Lehr-Lern-Modell phasiert. Damit werden die Seminarveranstalter dem seminardidaktischen Imperativ gerecht: Gestalte deine Seminarveranstaltungen so, dass sie Modell für guten Unterricht sind. Erwachsenenpädagogische Bedingungen und Unterschiede werden dabei selbstredend berücksichtigt.