Seminarprogramm
Das Ziel der Ausbildung am Studienseminar ist gem. LVO vom 03.01.2012 die Professionalisierung der Anwärterinnen und Anwärter, die „auf der Grundlage ihres Studiums mit Theorie und Praxis der Erziehung und des Unterrichts allgemein und ihrer jeweiligen Ausbildungsfächer so vertraut gemacht werden, dass sie zu selbstständiger Arbeit in dem jeweiligen Lehramt fähig sind. Reflexions-, Diagnose-, Beratungs- und Kooperationskompetenz sowie Innovationsbereitschaft sind im Hinblick auf dieses Ziel in besonderer Weise zu fördern.“ (LVO, §1 (2))
Auf dieser Basis qualifizieren die Anwärterinnen und Anwärter ihre Kompetenzen für den Berufseinstieg in den Modulen
- Schule und Beruf
- Sozialisation, Erziehung und Bildung
- Kommunikation und Interaktion
- Unterricht
- Diagnose, Beratung und Beurteilung.
Sie erwerben anschlussfähiges Handlungswissen für eine lebenslange Berufspraxis.
Folgende Leitgedanken für die Ausbildung an den Seminaren für Grundschulen lassen sich ableiten:
- Orientierung an den curricularen Standards für die Ausbildung, dem Schulgesetz, den Rahmenplan und den Teilrahmenplänen, der Grundschulordnung und dem Orientierungsrahmen Schulqualität
- Intensive Theorie-Praxisverzahnung zum Erwerb von theoriegeleiteter Handlungskompetenz
- Beachtung des Kommunikations- und Kooperationsgedankens durch alle an der Ausbildung Beteiligten
- Individualisierung durch Könnens- und Teilnehmerorientierung, insbesondere bei der prozessorientierten Beratung
- Modularisierung der Inhalte unter den Aspekten der Exemplarität, der Differenzierung und der Synergieeffekte über die Fachgrenzen hinaus
Unser Namenspatron ist Adolf Reichwein. Er wirkt profilbildend und richtungsweisend. Wir orientieren uns an
- dem Reformpädagogen als eine historische Persönlichkeit, die ein handlungsorientiertes Leben und Lernen realisierte.
- dem Lehrerbildner und Medienpädagogen, der methodische Prinzipien umsetzte, die heutigen Bildungsanforderungen entsprechen.
- dem Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus, der in schwierigsten politischen und materiellen Verhältnissen eine emanzipatorische Pädagogik verfolgte.
Prinzipien unserer Arbeit sind:
- Politische Bildung und Bildung zur Nachhaltigkeit
- Originale Begegnung, forschendes Lernen und Öffnung in die Region
- Lernen und Arbeiten in heterogenen Gruppen
- Reflexive Mediennutzung
Dies sind Aspekte, die Adolf Reichwein während seiner Tätigkeit als Lehrer und Lehrerbildner vorbildlich herausgearbeitet hat und damit in vielerlei Hinsicht zeitgemäße Impulse geben kann.
Adolf Reichwein
Zum 1. August 1994 wird dem Studienseminar Westerburg der Name Adolf-Reichwein-Studienseminar vom rheinland-pfälzischen Ministerium für Bildung und Kultur offiziell verliehen. Kollegium und Seminarleitung sind der Meinung, dass die Einführung eines dem Ausbildungsauftrag angemessenen Namenspatronats identitätsfördernd und profilbildend wirken kann.
Mit dem Namen Adolf Reichwein, dem Reformpädagogen, Erwachsenen- und Lehrerbildner, Museumspädagogen und Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus, der zudem aus der Region des Westerwaldes stammt (Geburtsort: Bad Ems), glaubt das Kollegium, ein fortschrittliches und offenes Seminarkonzept gut verbinden zu können. So erscheinen Reichweins schulpädagogische Gedanken, die er in seinen beiden Schriften "Schaffendes Schulvolk" (1937) und "Film in der Landschule" (1938) darstellte und begründete, auch für die heutige Schule und Lehrerausbildung in Theorie und Praxis bedeutsam und hochaktuell. [1]
Reichweins einmalige Leistung als Lehrerpersönlichkeit wird insbesondere auch darin gesehen, dass er seine reformpädagogische Arbeit an der einklassigen Landschule in Tiefensee unter den Bedingungen der nationalsozialistischen Herrschaft leistete.
Adolf Reichweins Konzepte und Erfahrungen stützen die innere Entwicklung des Studienseminars. Zu betonen sind hier seine Vorstellungen von einer humanen und demokratischen Schule, die Öffnung von Schule und Unterricht, seine überzeugende Förderung selbständigen, sozialen und methodischen Lernens sowie die Prinzipien und Beispiele einer Projekt-, Problem- und Handlungsorientierung der pädagogischen Arbeit.
Adolf Reichwein setzte "an die Stelle des 'reproduktiven' Schülers das 'produktive' Kind" [2], wobei Unterricht und Schulleben Individualität und soziale Verantwortung zu verbinden suchten. Seinem sozialerzieherischen Leitmotiv folgend wurden darüber hinaus Fahrt, Fest und Feier zu zentralen Elementen eines Schullebens, für das die aktive Mitarbeit der Eltern und die Öffnung gegenüber der Dorfgemeinde von besonderer Bedeutung waren.
Ein Vater, der in Tiefensee nach seinen Eindrücken zu Adolf Reichwein befragt wurde, antwortete: "Der Professor? Wissen Sie, der hat unsere Kinder frei gemacht." [3]
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Vgl. KRÄMER, Ulrich: Seminarentwicklung und Lehrerausbildung am Beispiel des Adolf-Reichwein-Studienseminars Westerburg. In: AMLUNG, Ullrich/JUNGBLUTH, Uli (Hg.): Seminarwerkstatt Offener Unterricht – am Beispiel Adolf Reichweins lernen (= Studientexte für das Lehramt, Band 3). Neuwied, Kriftel 2000, S. 25 ff.
[1] Eine kommentierte Neuausgabe der Schulschriften Reichweins ist 1993 im Beltz-Verlag (Weinheim/Basel), herausgegeben von W. Klafki, U. Amlung, H. Chr. Berg, H. Lenzen, P. Meyer, W. Wittenbruch, erschienen.
[2] REICHWEIN, Adolf: Schaffendes Schulvolk. Stuttgart und Berlin 1937, S. 85.
[3] BOHNENKAMP, Hans: Geleitwort zur Neuausgabe. In: Adolf Reichwein: Schaffendes Schulvolk. Neu herausgegeben von seinen Freunden – mit Geleitworten von Hans Bohnenkamp, Braunschweig 1964 und 1967