Bildung in der digitalen Welt - Der Beitrag des evangelischen Religionsunterrichts

Der Trend zur digitalen Datenverarbeitung gehört zu den größten Herausforderungen unserer Zeit. Mit ihm verbinden sich ungeahnte Chancen, aber auch Gefahren, die wir uns bewusst machen sollten - auch und gerade in der Schule. Der Beitrag des evangelischen Religionsunterrichts zur digitalen Bildung leitet sich zunächst einmal aus seinem Spezifikum innerhalb des Fächerkanons ab.

Der Religionsunterricht eröffnet wie auch die Fächer Ethik und Philosophie den Schülerinnen und Schülern einen ganz eigenen Modus der Welterschließung (Jürgen Baumert), indem er die Probleme konstitutiver Rationalität thematisiert. Das bedeutet: „Religionsunterricht fragt nach den Grenzen des Wissbaren und nach der Plausibilität und Tragfähigkeit von Weltdeutungen und Sinnantworten“ (Richtlinien zur Umsetzung des Rahmenlehrplans Katholische Religion für Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf. Ministerium für Bildung, 2016. S.8). Religionsunterricht versteht sich „als integraler Teil allgemeiner Bildung. Dabei berücksichtigt er die heutige religiöse Sozialisation, die in einem pluralen Umfeld stattfindet“( Lehrplan Evangelische Religion, Gymnasiale Oberstufe. Ministerium für Bildung, 2013. S.2). Er erschließt Schülerinnen und Schülern „den spezifischen religiösen Weltzugang, der durch keinen anderen Modus der Welterfahrung ersetzt werden kann“( Die Zukunft des konfessionellen Religionsunterrichts. Empfehlungen für die Kooperation des katholischen mit dem evangelischen Religionsunterricht. hg. vom Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz. Bonn 2016. S.7).

Weiterer Bezugspunkt für den Beitrag des evangelischen Religionsunterrichts zur digitalen Bildung sind die Erfordernisse, die sich aus einem Gesamtkonzept der Bildung in der digitalen Welt ergeben. Im Strategiepapier der Kultusministerkonferenz zum Thema sind verschiedene Kompetenzen für eine Bildung in der digitalen Welt zusammengetragen (Bildung in der digitalen Welt - Strategie der Kultusministerkonferenz. Beschluss vom 08.12.2016. Sekretariat der Kultusministerkonferenz, Berlin 2016. S.15f). Von diesen erweisen sich einige entsprechend seines Spezifikums als für den Religionsunterricht besonders relevant. Es können zwei Bereiche von Kompetenzen unterschieden werden: Einerseits solche, die sich auf die Deutung oder auch Umdeutung von Weltbildern beziehen, andererseits Kompetenzen einer auf einem biblischen Menschenbild basierenden Ethik, die durch die Digitalisierung der Lebenswelt verstärkt eingefordert werden oder an besonderer Brisanz gewinnen.

Umgang mit Weltdeutungen

Welt existiert für den Menschen immer nur als gedeutete. Weltbilder zu analysieren, ihren Wahrheitsgehalt und ihre Grenzen zu reflektieren, ist eine der Grundaufgaben des Religionsunterrichts. Das Mit- und Gegeneinander verschiedener religiöser und säkularer Weltbilder bekommt durch die Digitalisierung zunehmende Dynamik, die es zu erkennen und für den eigenen Standpunkt und die eigene Identitätsentwicklung zu bewerten gilt.

Es ist eine besondere Fähigkeit des Menschen, im Geist neue Welten erschaffen zu können. Kunst und Literatur legen davon Zeugnis ab; ebenso die literarischen und künstlerischen Ausdrucksformen in den Religionen. Schon immer sind damit auch Wertsetzungen und Wahrheitsansprüche verbunden. Eine besondere Herausforderung in der digitalen Welt besteht darin, dass die Wirkmacht des Virtuellen verstärkt erfahrbar ist. Schülerinnen und Schüler müssen vermehrt damit umgehen, dass Realität nicht nur von Materialität beeinflusst wird, sondern auch von Virtualität. Die Frage nach Wahrheit und Wirklichkeit wird neu akzentuiert.

Schülerinnen und Schüler müssen dazu befähigt werden, Gestaltungsprinzipien und Wirkungsmechanismen erkennen, durchschauen und beurteilen zu können. Sie sollen die Chancen und Risiken digitaler Umgebungen in einer Welt des religiösen und weltanschaulichen Pluralismus benennen und einschätzen und für die eigene Lebensgestaltung nutzen, indem sie die Potenziale der Digitalisierung für die eigene Weiterentwicklung, für soziale und politische Teilhabe reflektieren und dem eigenen Handeln zugrunde legen.

Konkret bedeutet dies für den Religionsunterricht z.B.,

  • dass die Schülerinnen und Schüler zur Wahrnehmung der sich durch Digitalität verändernden Grundlagen unseres Lebens (Sozialität, Realität, Identität und Individualität) befähigt werden;
  • dass die Schülerinnen und Schüler mediale Konstrukte, Stars, Idole, Computerspiele, mediale Gewaltdarstellungen u.Ä. analysieren und konstruktiv damit umgehen können;
  • dass die mit der Vielfalt und Unüberschaubarkeit in der digitalen Welt verbundenen neuen Kontingenzerfahrungen als existentiellen Erfahrungen wahrgenommen und thematisiert werden;
  • dass die neuen Möglichkeiten genutzt werden, andere Religionen in ihrer Vielfalt und authentisch zu Wort kommen zu lassen, und so Bedeutung und Tragweite von Begriffen wie Religionsfreiheit und Toleranz intensiv erfahrbar werden;
  • dass quasireligiöse Funktionen der Medienkultur (vgl. dazu Pirner, Manfred L.: Kritisch nutzen statt verteufeln - Die Ambivalenz der digitalen Medienkultur als ethische und pädagogische Herausforderung - Hinweise für eine evangelische Medienbildung; in: Kommunikation des Evangeliums in der digitalen Gesellschaft, Lesebuch zur 7. Tagung der 11. Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland, Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik, 2. Aufl. 2014, S. 66) entlarvt und tragfähige Standpunkte gefunden werden. Zentraler theologischer Bezugspunkt ist dabei die Botschaft vom Gott der Bibel, der in die Freiheit führt.

Christliche Ethik

Der Maßstab ethischer Entscheidungen in der digitalen Welt wird im Religionsunterricht durch das biblische Menschenbild vorgegeben. „Im Kern steht die Personalität, die unveräußerliche Würde jedes einzelnen Menschen als Ebenbild Gottes. Die Gestaltung der Möglichkeiten der Digitalisierung muss sich daran messen lassen, ob sie den Menschen als Subjekt behandelt und nicht als bloßes quantifizierbares Objekt“ (Medienbildung und Teilhabegerechtigkeit. S.8), und zwar sowohl in der eigenen Person als auch im Anderen. Fragen nach dem richtigen Handeln, der Basis der eigenen Identität und des Sozialen werden auf einer neuen Basis und mit anderen Konsequenzen beantwortet werden als dies bisher geschah.

Die Aufgabe des evangelischen Religionsunterrichts muss es sein, die grundlegenden gesellschaftlichen Veränderungen sowie ihre sozialethischen Implikationen zu thematisieren und Impulse für ein verantwortungsvolles und nachhaltiges Handeln zu setzen.

Konkret bedeutet dies z.B.

  • die Einübung respektvollen und adressatengerechten Interagierens, um kulturelle Vielfalt zu berücksichtigen und seine Kommunikation der jeweiligen Umgebung anpassen zu können. Der Religionsunterricht leistet hier seinen Beitrag durch die Vermittlung religiöser Wahrnehmungskompetenz und der religiösen Diskursfähigkeit.
  • die Vermittlung der Prinzipien christlicher Soziallehre als Weg zu verantwortungsbewusstem Handeln, z.B. im Bereich der Umweltauswirkungen digitaler Technologien.

Im Anschluss finden Sie einige Links zu aktuellen Veröffentlichungen zum Thema "Digitale Bildung und Religionsunterricht".