OER - Bildungsmaterialien unter freier Lizenz
Baustein 5
Einstiegsfall
Das Kollegium der A-Schule möchte vernetzte und offene Bildungsmaterialien anbieten. Hierfür sollen die Lehrkräfte die von ihnen entworfenen Materialien auf einen gemeinsamen Server hochladen. Jede und jeder soll darauf Zugriff sowie die Möglichkeit haben, alle Materialien zu bearbeiten, zu verwenden und zu vervielfältigen. Die Schulleitung fragt sich, inwieweit dieser Vorgang mit dem Urheberrecht vereinbar ist und wie es mit den Nutzungsrechten der Materialien steht, die von den Lehrkräften für den Unterricht erschaffen wurden.
Sachinformation
Aus den Vereinigten Staaten kam zuerst der Gedanke der „freien Inhalte“ (= engl. open content): Gleichgesinnte sollten auf unkomplizierte Art und Weise ein umfassendes Nutzungsrecht an Werken erhalten, um diese zum Beispiel herunterladen, bearbeiten und nutzen bzw. wieder hochladen zu können. Dies hat zum einen den Vorteil, dass Lehrende die teilweise komplizierten Regeln des Urheberrechts nicht mehr beachten müssen und die Unterrichtsmaterialien ohne Einverständnis frei bearbeiten, teilen und weiterentwickeln können. Auch liegt es in der Hand des Lehrenden, welche Arten der Nutzung genehmigt werden sollen. Ein Urheberrecht an den Werken besteht also weiter, es werden lediglich pauschale Rechte hinsichtlich einzelner Nutzungen eingeräumt. Werden diese Nutzungsrechte überschritten, ist dies als Urheberrechtsverstoß zu werten und kann entsprechend geahndet werden.
Außerdem sprechen sich die Lehrkräfte, die solche Inhalte verwenden und weiterentwickeln, für einen freien Zugang zu Bildung und Kultur aus , sodass durch die Freigabe eigener Inhalte die Ausbreitung und Bewahrung eines gemeinsamen und frei zugänglichen Materialpools geschaffen wird. Nicht zu vergessen sind natürlich der Vorteil der schnellen Verbreitung eigener Werke und die Erreichung größerer Bekanntheit.
Lizenzvarianten
Es wurden hierzu eine Reihe von Lizenzvarianten erschaffen, mit denen Urheberinnen und Urheber die Wahl haben, bestimmte Rechte wie beispielsweise die Namensnennung einzuräumen, sich aber auch Rechte, wie z. B. . die ausschließlich nicht-kommerzielle Nutzung, vorbehalten können. Ziel ist es, die Allgemeinheit an geistigen Leistungen teilhaben zu lassen.
Besonders für den Bildungsbereich ist diese Vorgehensweise interessant. Entworfene Materialien können so durch andere Lehrkräfte weiterentwickelt, angepasst und verwendet werden, ohne dass es der teilweise unübersichtlichen Regelungen des Urheberrechts bedarf. Dies entspricht dem Grundsatz, dass Schulen freien Zugang zu Bildung, Wissenschaft und Kultur ermöglichen sollen. Gleichzeitig wird durch die Freigabe eigener Inhalte die Ausbreitung und Bewahrung eines gemeinsamen und frei zugänglichen Materialpools geschaffen.
Open Educational Resources
Eine wichtige Bewegung im Bereich der freien Inhalte für Bildung und Wissenschaft sind die Open Educational Resources, kurz OER. Dabei handelt es sich um Lehr- und Lernmaterialien, die für jeden öffentlich zugänglich sein sollen. Im Vordergrund stehen das Teilen und die Weiterentwicklung der Materialien.
Als OER veröffentlichte Materialien werden unter Bedingungen bereitgestellt, die eine Weiterbearbeitung und Weitergabe ermöglichen sollen. Jede bzw. jeder Beteiligte erstellt nicht nur eigene Materialien, sondern greift dabei auch umfassend auf die bereits zur Verfügung gestellten Materialien zurück. Die Erschaffenden werden dabei gleichermaßen zu Nutzenden. Dadurch entsteht eine Vielzahl von Gemeinschaftswerken.
Unsicherheiten, welche Rolle das Urheberrecht bei OER spielt, können ausgeräumt werden. Die Idee der OER geht davon aus, dass jede Person, die ihre Werke als OER veröffentlicht, mit der unbeschränkten Nutzung durch andere einverstanden ist, sie also mit der Teilnahme an OER die Genehmigung dazu erteilt. Dies ist insoweit mit dem Urheberrecht vereinbar, als dass allein die Urheberinnen und Urheber selbst über ihr jeweiliges Werk entscheiden.
Möchten Autorinnen und Autoren ihre Materialien als OER veröffentlichen, können sie also den Nutzerinnen und Nutzern pauschal die Weiterentwicklung, die Bearbeitung, die Weitergabe und die Veröffentlichung erlauben. Damit sind diese Werke urheberrechtskonform im Rahmen einer (sehr weit gefassten) Lizenz verwendbar. Bei Materialien, die mehrere Verfasserinnen oder Verfasser entwickeln, müssen sich alle Miturheberinnen und Miturheber darüber einig sein, unter welchen Bedingungen veröffentlicht werden soll. Natürlich ist es auch möglich, die Nutzung der eigenen Werke zu beschränken, etwa indem man auf die Namensnennung hinweist oder eine Verwendung nur unter den gleichen Bedingungen erlaubt.
Im schulischen Bereich ist zu beachten, wer die urheberrechtlichen Nutzungsrechte an Werken hat, die Lehrkräfte für ihren Unterricht entwickeln. Da davon auszugehen ist (vergleiche Baustein 3.3 - Veröffentlichung von Werken), dass die Schulen bzw. der Schulträger die ausschließlichen Nutzungsrechte an den in der Schule entworfenen Materialien haben, können Lehrkräfte diese Materialien nicht einfach unter OER veröffentlichen. Vielmehr müssen sie sicherstellen, dass dies mit dem jeweiligen Dienstherrn abgesprochen und genehmigt ist. Entwerfen Lehrkräfte über den Lehrplan hinaus Materialien, können sie diese unter OER veröffentlichen.
Creative Commons-Lizenz
Zur Lizenzierung von OER eignet sich beispielsweise die Creative Commons Lizenz (CC-Lizenz). Creative Commons ist eine Non-Profit-Organisation, die standardisierte Lizenzverträge zur Verfügung stellt, um Urheberinnen und Urhebern die Freigabe ihrer urheberrechtlich geschützten Werke zu ermöglichen und nach selbst gewählten Bedingungen zu gestalten. Die Urheberinnen und Urheber entscheiden, was mit ihren jeweiligen Inhalten geschehen darf und was nicht. Der mit einer CC-Lizenz versehene Inhalt darf freier und einfacher verwendet werden, als das Urheberrechtsgesetz es vorsieht.
Möchte, wie im Einstiegsfall, eine Schule die CC-Lizenzen für ihre Materialien nutzen, muss zunächst der Dienstherr mit ins Boot geholt und dann klargestellt werden, welche Bedingungen gelten sollen. Es gibt mehrere CC-Lizenzen, die miteinander kombinierbar sind. Folgende Merkmale sind zu verwenden:
- für die Namensnennung das Kürzel „CC BY“ (englisch: Attribution), eine in allen Kernlizenzen vorhandene Grundbedingung - außer bei „CC0“, siehe unten,
- für die nicht kommerzielle Nutzung das Kürzel „NC“ (englisch: NonCommercial),
- für das Verbot der Bearbeitung das Kürzel „ND“ (englisch: NoDerivatives) und
- für die Weitergabe nur unter den gleichen Bedingungen das Kürzel „SA“ (englisch: ShareAlike).
Es liegt in der Hand der Verwenderin bzw. des Verwenders, die verschiedenen Symbole zu kombinieren und zu entscheiden, was freigegeben werden soll. Zu beachten ist jedoch, dass die Lizenz „CC BY-ND“ in der praktischen Durchführung weniger geeignet ist, da es bei OER gerade um die Anpassung und Bearbeitung der Bildungsmaterialien geht, die durch diese Lizenz dann verhindert wird. Auch die Lizenz „CC BY-NC“ hat sich nicht wirklich als praktikabel erwiesen, da es viele Bildungsinstitute gibt, die auf Einnahmen angewiesen sind oder, da Nutzerinnen und Nutzer Inhalte über Plattformen teilen möchten, die Werbung schalten und damit als kommerziell gelten.
Unter https://creativecommons.org/ können Lehrkräfte ihre Online-Inhalte selbst lizenzieren. Die Lizenzen werden dann in Form von Meta-Angaben deutlich erkennbar mitgegeben. Für die Nutzerinnen und Nutzer - aber beispielsweise auch für Suchmaschinen - sind die so markierten Inhalte ganz einfach zu verwenden. Im Übrigen kann man unter der oben genannten Website auch direkt Inhalte unter den verschiedenen Lizenzen suchen und weiterverwenden.
Eine rechtliche Überprüfung der Lizenzen müsste in Deutschland nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch geschehen. Rechtlich gesehen sind die CC-Lizenzen als Allgemeine Geschäftsbedingungen zu bewerten und nach den §§ 305 ff. Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) überprüfbar.
Ein besonders weitgehendes Element der CC-Lizenzen ist die Lizenz „CC0“ (CC Zero). Sie kommt der im Urheberrecht verankerten Gemeinfreiheit eines Werkes am nächsten, ohne jedoch ein amtliches Werk zu sein oder eine abgelaufene Schutzfrist von 70 Jahren zu verlangen.
- Verzichtserklärung für eine bedingungslose vollkommen freie Verwendung (Public Domain) mit dem Kürzel „CC0“ (englisch: CC Zero)
Da es nach der Rechtslage in Deutschland nicht möglich ist, auf die Urheberpersönlichkeitsrechte (zum Beispiel Namensnennung) zu verzichten, enthält diese Version neben der Verzichtserklärung eine bedingungslose Lizenzvergabe (sogenannte fallback license) für den Fall, dass die Verzichtserklärung nicht ihre volle Wirksamkeit entfalten kann.
Im Einstiegsfall könnte die Schule sich in Absprache mit Schulleitung und Schulträger für eine Veröffentlichung der Materialien unter CC-Lizenz entscheiden. Diese Lizenzen sind vielfach kombinierbar und können den eigenen Wünschen und Zielen angepasst werden. Mit dem Dienstherrn muss darüber Einigung erzielt werden, welche Materialien unter OER publiziert werden dürfen und im Kollegium darüber, welche Lizenz gewählt wird. Außerdem sollte die Namensnennung (falls gewollt) geregelt werden (zum Beispiel Name der Schule / Name der Lehrkraft). Wichtig ist, dass alle Beteiligten wissen, worauf sie sich einlassen. Auch sollte darüber aufgeklärt werden, dass mit der pauschalen Genehmigung auch die gesetzlichen Vorgaben des Urheberrechts eingehalten werden.
Übrigens: reine Unterrichtskonzepte und -ideen sind grundsätzlich als gemeinfrei zu werten. Hierunter fallen die abstrakte Struktur und der Ablauf einer Unterrichtseinheit. Sie dürfen frei verwendet werden und es werden keine Lizenzen benötigt.
Gesetze und Vorschriften
Hier finden Sie Links zu allen Gesetzen und Vorschriften, die für Baustein 5.2 - Open Educational Resources - Bildungsmaterialien unter freier Lizenz - relevant sind.
§§ 305 ff. BGB – Gestaltung rechtsgeschäftlicher Schuldverhältnisse durch Allgemeine Geschäftsbedingungen
§ 5 UrhG – Amtliche Werke
§§ 12, 13 UrhG – Veröffentlichungsrecht, Anerkennung der Urheberschaft
§§ 64 ff. UrhG – Dauer des Urheberrechts
§§ 70 ff. UrhG – Verwandte Schutzrechte
Quellen und Links
Hier finden Sie eine Übersicht über die in Baustein 5.2 - Open Educational Resources - Bildungsmaterialien unter freier Lizenz - verwendeten Quellen und weiterführende Links.
- Deutsche Website der Non-Profit-Organisation „Creative Commons“ mit Informationen über die CC-Lizenzen, ausführlichen FAQs, einem Lizenzhinweisgenerator und einer CC-Suchfunktion
Abrufbar unter http://de.creativecommons.org/ - Website von OER@RLP-Schule, einem Verbundprojekt in Rheinland-Pfalz, das in Zusammenarbeit der Bereiche Schule, Hochschule und Weiterbildung freie Bildungsressourcen umfassend und rechtssicher nutzbar machen möchte
Abrufbar unter https://oer.bildung-rp.de/ - Podcast „zugehOERt 094“, Beitrag vom 15.12.2022, Medieninhalte im Unterricht zeigen
Abrufbar unter https://open-educational-resources.de/zugehoert-094-auf-dem-oercamp/ - Papier zum Einstieg ins Thema OER mit Informationen zu Grundlagen, rechtlichen Rahmenbedingungen, wichtigen Akteuren und Ereignissen
Abrufbar unter https://open-educational-resources.de/wp-content/uploads/OER-Whitepaper_OER-in-der-Schule-2014.pdf - Spezial „OER – Material für alle“ der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) mit grundlegenden Informationen zu OER und Hilfestellungen zur Umsetzung für die schulische Praxis Abrufbar unter https://www.bpb.de/lernen/digitale-bildung/oer-material-fuer-alle/
- „Open Content – ein Praxisleitfaden zur Nutzung von Creative-Commons-Lizenzen“ von Dr. Till Kreutzer auf wikimedia commons (pdf)
Abrufbar unter https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/c/cd/Open_Content_-_Ein_Praxisleitfaden_zur_Nutzung_von_Creative-Commons-Lizenzen.pdf - Till Kreutzer: Open Educational Resources (OER), Open-Content und Urheberrecht; Frankfurt am Main 2013
Abrufbar unter https://www.pedocs.de/volltexte/2013/8008/pdf/Kreutzer_2013_OER_Recht.pdf - Dossier „Creative Commons“ von irights.info, u. a. mit Hinweisen auf Anlaufstellen für freie Musik, freie Bilder und freie Unterrichtsmaterialien im Netz
Abrufbar unter https://irights.info/dossier/creative-commons - „Open Educational Resources (OER), Open Content und Urheberrecht”, Untersuchung von Dr. Till Kreutzer zu urheberrechtlichen Rahmenbedingungen im Zusammenhang mit OER auf irights.info (pdf)
Abrufbar unter https://irights.info/wp-content/uploads/2013/08/Kreutzer_Studie_OER-Open-Content-Urheberrecht.pdf - Tipps und Eselsbrücke zum korrekten Verwenden von offen lizenzierten Werken
Abrufbar unter http://open-educational-resources.de/oer-tullu-regel/ - Artikel „Wo findet man freie Unterrichtsmaterialien? 15 Anlaufstellen im Netz“ von Jöran Muuß-Merholz
Abrufbar unter https://irights.info/artikel/wo-findet-man-freie-unterrichtsmaterialien-15-anlaufstellen-im-netz/25549 - Artikel „Offen für Kommerz? Bildungsmaterialien und das Problem nicht-kommerzieller Lizenzen“ von Henry Steinhau und David Pachali auf irights.info
Abrufbar unter https://irights.info/artikel/oer-creative-commons-noncommercial/28879 - Artikel „Wie sich CC-Lizenzen zum Urheberrecht verhalten“
Abrufbar unter https://irights.info/artikel/creative-commons-urheberrecht/32062 - Artikel „Warum reine Unterrichtskonzepte immer gemeinfrei sind“ von Georg Fischer
Abrufbar unter https://irights.info/artikel/unterrichtskonzepte-gemeinfrei-oer/32030#more-32030 - Suchmaschine für CC-Inhalte
Abrufbar unter http://search.creativecommons.org/ - OER.de-Karte mit einem Überblick über Akteure und Projekte im deutschsprachigen Raum
Abrufbar unter https://open-educational-resources.de/tag/oerde-karte/
Weitere Fallbeispiele
Hier finden Sie zu Baustein 5.2 - Open Educational Resources - Bildungsmaterialien unter freier Lizenz - passende Fallbeispiele.
Lehrerin A entwirft eigenes Lehrmaterial und möchte es anderen zur Verfügung stellen. Allerdings möchte sie nicht, dass jemand einen finanziellen Nutzen aus diesen Materialien zieht. Unter welcher Lizenz kann sie ihre Werke veröffentlichen?
Lösung:
Sie kann die Benutzung des Werkes mit der Lizenz nur für die nicht-kommerzielle Nutzung („CC BY-NC“) erteilen. Im Bildungsbereich wird dies allerdings diskutiert, da viele Bildungseinrichtungen für ihre Aufgabenerfüllung auf Einnahmen angewiesen sind oder andere Autorinnen und Autoren auf Videoportalen publizieren möchten, wo automatisch Werbung geschaltet wird. Hier wäre die Verwendung von Materialien, die unter „CC BY-NC“ publiziert werden, nicht mehr erlaubt.
Lehrer B erstellt unter Verwendung von Lehrmaterialien, die unter einer CC-Lizenz veröffentlicht sind, eigene Unterrichtsmaterialien. Als er diese an einen Schulbuchverlag verkaufen will, merkt er, dass einige Fremdmaterialien unter der Lizenz: „Namensnennung, nicht kommerziell und Weitergabe nur unter gleichen Bedingungen“ veröffentlicht wurden. Darf er die Unterlagen nun verkaufen?
Lösung:
Nein! Die Bedingungen der Lizenz sind zu beachten. B darf das neu entstandene Werk nur unter der gleichen Lizenz weiterverwenden. Das bedeutet, er darf es nicht kommerziell nutzen und auch nur unter den gleichen Bedingungen weiterverwenden.