Einstiegsfall

Einstiegsfall

Die X-Schule betreibt eine Plattform, auf der die Schülerinnen und Schüler sich austauschen können. Schülerinnen und Schüler melden sich mit ihren individuellen Benutzerdaten an und können Texte und Bilder veröffentlichen sowie auf die Inhalte der anderen zugreifen. Eine Inhaltskontrolle seitens der Schule gibt es nicht. Die 18-jährige Schülerin Y hat sich über einen benachbarten Kiosk geärgert und schreibt auf der Plattform: „Kioskbesitzer Z hat bereits mehrfach hochprozentigen Alkohol an Minderjährige verkauft. Das ist dort Gang und Gäbe.“ Als Z davon erfährt, wendet er sich an die Schulleitung und droht mit einer Anzeige wegen übler Nachrede.


Sachinformation

Aktuelle Meldungen

Bei Verleumdungen oder übler Nachrede können Geschädigte sich mit einer Strafanzeige an die Polizei wenden. In Frage kommen zahlreiche Straftatbestände. Der oben genannte Einstiegsfall kann beispielsweise Beleidigungsdelikte, §§ 185 – 188 Strafgesetzbuch (StGB), erfüllen.

Doch auch eine Körperverletzung, § 223 StGB, wegen entstandener psychischer Belastung, kommt bei Rechtsverletzungen im Internet in Betracht. Werden Personen verfolgt und heimlich gefilmt, kann dies auch den Straftatbestand der Nachstellung nach § 238 StGB erfüllen. Wer Abbildungen von Personen in pornografische oder gewaltverherrlichende Filme oder Fotos einfügt, kann sich der Nötigung, § 240 StGB, und auch der Bedrohung, § 241 StGB, strafbar machen.

Neben der strafrechtlichen Ahndung der Rechtsverletzungen kommen immer auch zivilrechtliche Ansprüche in Betracht, siehe dazu Baustein 7.1 - Zivilrecht.

Verstöße gegen das Strafgesetzbuch

Grundsätzlich ist in Fällen wie dem Einstiegsfall zunächst immer die Autorin bzw. der Autor für ihren bzw. seinen Beitrag verantwortlich. Eine strafrechtliche Grenze wäre nur bei Autorinnen oder Autoren unter 14 Jahren anzunehmen, da diese noch nicht strafmündig sind. Das heißt, zunächst könnte Schülerin Y sich wegen übler Nachrede nach § 186 StGB oder wegen Verleumdung nach § 187 StGB strafbar gemacht haben.

Eine strafrechtliche Verantwortlichkeit für den Betreiber des Forums, die Schule X, kommt aber nicht in Frage. Nach dem Gesetz zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken (Netzwerkdurchsetzungsgesetz, NetzDG) und § 10 Telemediengesetz (TMG) haftet die Schule als sogenannter Hostprovider nicht für Rechtsverstöße, von denen sie keine Kenntnis hat. Allerdings ist sie verpflichtet, nach Kenntnis die beleidigenden Beiträge unverzüglich zu löschen, im Einzelnen siehe hierzu Baustein 5.8 - Umgang mit Rechtsverletzungen in Sozialen Medien.

Verstöße gegen das Jugendschutzgesetz

Nach dem Jugendschutzgesetz (JuSchG) gelten für sogenannte offensichtlich schwer jugendgefährdende Medieninhalte strafbewehrte Verbote des Zugänglichmachens gegenüber Minderjährigen. Danach macht sich strafbar, wer Kindern und Jugendlichen jugendgefährdende Trägermedien überlässt, zugänglich macht, ausstellt, etc., siehe § 27 JuSchG sowie §§ 23, 24 Staatsvertrag über den Schutz der Menschenwürde und den Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien (Jugendmedienschutz-Staatsvertrag - JMStV). Eine Strafbarkeit liegt hier auch bei Fahrlässigkeit vor. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass eine Sorgfaltspflichtverletzung bestehen muss. Als Sorgfaltspflicht käme die Aufsichtspflicht der Lehrkräfte in Betracht. Danach müssen Lehrkräfte eine Schädigung von Schülerinnen und Schülern verhindern, aber auch verhindern, dass Dritte durch die Schülerinnen und Schüler geschädigt werden. Werden illegale Inhalte über eine Plattform auf dem Server der Schule verbreitet, und wird diese nicht regelmäßig auf jugendgefährdende Inhalte überprüft, könnte eine Sorgfaltspflichtverletzung in Frage kommen.

Verstöße gegen das Netzwerkdurchsetzungsgesetz oder Telemediengesetz

Fraglich ist, inwieweit die Schule als Betreiberin der Plattform zur Verantwortung gezogen werden kann. Nach dem NetzDG werden die großen Anbieter sozialer Netzwerke verpflichtet, transparente Verfahren zum Umgang mit Beschwerden über rechtswidrige Inhalte einzurichten (§ 3 NetzDG), entsprechendes könnte auch von Betreibern kleinerer Plattformen verlangt werden, sofern es ihnen zumutbar ist. Nach § 10 TMG ist derjenige, der fremde Informationen und Inhalte auf seinen eigenen Seiten aufnimmt (sog. Hostprovider), grundsätzlich nicht für fremde Inhalte bzw. Rechtsverletzungen verantwortlich. Der Anbieter ist allerdings dann haftbar, wenn er Kenntnis hat, das heißt, wenn nachweisbar ist, dass er von der Rechtswidrigkeit der Inhalte wusste und diese Inhalte nicht unverzüglich entfernt oder gesperrt hat. Siehe im Einzelnen hierzu Baustein 3.4 - Blogs, Schulwikis, Soziale Medien und Baustein 5.8 - Umgang mit Rechtsverletzungen in Sozialen Medien. Eine Verantwortung der Schule besteht daher erst dann, wenn sie konkrete Anhaltspunkte für rechtswidrige Äußerungen durch Dritte hat.

Wegen der fehlenden Rechtsprechung für die Verantwortlichkeit von Schulen und Lehrkräften ist es ratsam, Beiträge von Schülerinnen und Schülern auf schulischen Plattformen zumindest in regelmäßigen Abständen zu kontrollieren. Wie oft eine solche Kontrolle erforderlich ist, hängt dabei vom Einzelfall ab. So sollte beispielsweise ein Forum zu einer Musik-Tauschbörse häufiger nach illegalen Inhalten überprüft werden, als über eine Klassenfahrt ins Ausland. Darüber hinaus wird empfohlen, einzelne Schülerinnen und Schüler bei wiederholten Rechtsverstößen von der Plattform auszuschließen. Erhält die Schule einen Hinweis auf rechtswidrige Inhalte, ist es erforderlich, sie zu überprüfen und unverzüglich zu löschen oder zu sperren. Darüber hinaus müssen in der Schule klare Regeln aufgestellt werden, welche Lehrkraft Kontrollpflichten übernimmt und wie bei Hinweisen zu reagieren ist. Siehe hierzu die Checkliste zur Aufsichtspflicht bei der schulischen Nutzung des Internet sowie Baustein 3.4 - Blogs, Schulwikis, Soziale Medien und Baustein 2.2 - Schulintranet und Lernmanagementsysteme. Eine klare Distanzierung von den Inhalten und der Hinweis, dass es sich um die Ansichten der Autorinnen und Autoren handelt, sind ebenfalls zu empfehlen.

Auskunftspflicht der Schule gegenüber Polizei, Staatsanwaltschaft und anderen öffentlichen Stellen

Nicht selten werden Auskunftsbegehren öffentlicher Stellen gegenüber Schulen mit einem Verweis auf die zu leistende „Amtshilfe“ begründet. Die allgemeine Amtshilfevorschrift des Verwaltungsverfahrensgesetzes reicht aber nicht aus, um die Übermittlung personenbezogener Daten zu legitimieren. Hierfür bedarf es einer speziellen datenschutzrechtlichen Rechtsgrundlage, sowohl für die Datenerhebung durch die anfordernde Stelle, als auch für die Übermittlung personenbezogener Daten durch die Schule.

Solche Vorschriften existieren für die Staatsanwaltschaft und auch für die Polizei, soweit sie als Hilfsbeamter der Staatsanwaltschaft in Strafsachen ermittelt: § 161 Abs. 1 Strafprozessordnung (StPO) bestimmt, dass alle öffentlichen Behörden verpflichtet sind, an die Ermittlungsbehörden Auskünfte zu erteilen. Auch im Verhältnis zur Polizei, soweit diese Gefahrenabwehr betreibt, sowie zum Verfassungsschutz existieren entsprechende Vorschriften. Diese allgemeine Mitwirkungsverpflichtung gilt jedoch nur, soweit sich aus spezialgesetzlichen Übermittlungsbestimmungen nicht anderes ergibt.

Für den Schulbereich enthält § 67 Abs. 5 Schulgesetz (SchulG) eine solche spezialgesetzliche Regelung. Hiernach ist die Übermittlung personenbezogener Daten durch die Schule zulässig, soweit der Empfänger aufgrund einer Rechtsvorschrift berechtigt ist, die Daten zu erhalten und die Kenntnis der Daten zur Erfüllung seiner Aufgaben erforderlich ist. Auch wenn diese Voraussetzung erfüllt ist, hat die Datenübermittlung zu unterbleiben, wenn sie dem Auftrag der Schule widersprechen würde.

Damit ist im Schulgesetz ein Vorbehalt eingeführt, der es der Schule ermöglichen soll, das Vertrauensverhältnis zwischen Schule, Schülerinnen und Schülern zu bewahren und auf eine Informationsweitergabe an Dritte zu verzichten, um auf diese Weise ihren Erziehungsauftrag zu erfüllen.

Diese Grundsätze sind nicht nur bei Auskunftsersuchen anderer Stellen (z. B. der Polizei) zu berücksichtigen, sondern auch dann, wenn die Schule von sich aus Informationen über Schülerinnen und Schüler an dritte Stellen weiterzugeben beabsichtigt. Denn mit Ausnahme der Regelung in § 138 StGB (Nichtanzeige geplanter Verbrechen wie etwa Mord, Totschlag, Raub, Erpressung, Brandstiftung oder gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr) ist die Schule nicht verpflichtet, die Ermittlungsbehörden einzuschalten, wenn sie von Straftaten Kenntnis erlangt.


Gesetze und Vorschriften

Aktualisierte Inhalte

Hier finden Sie Links zu allen Gesetzen und Vorschriften, die für Baustein 7.2 - Strafrecht - relevant sind.

§§ 185 - 188 StGB – Beleidigung

§ 223 StGB – Körperverletzung

§ 238 StGB – Nachstellung

§ 240 StGB – Nötigung

§ 241 StGB – Bedrohung

Art.. 20 der Verordnung (EU) 2022/2065 - Internes Beschwerdemanagementsystem

§ 7 DDG – Beschränkte Verantwortlichkeit
i. V. m.
Art. 6 der Verordnung (EU) 2022/2065 - Hosting (S. 45)

§ 27 JuSchG – Strafvorschriften

§§ 23, 24 JMStV – Strafvorschriften

§ 16 StPO – Prüfung der örtlichen Zuständigkeit, Einwand der Unzuständigkeit

§ 161 StPO - Allgemeine Ermittlungsbefugnis der Staatsanwaltschaft

§ 67 Abs. 5 SchulG – Übermittlung personenbezogener Daten


Quellen und Links

Quellen und Links

Hier finden Sie eine Übersicht über die in Baustein 7.2 - Strafrecht - verwendeten Quellen und weiterführende Links.

Joachim Grumbach/Frank Hennecke/Michael Thews (Hrsg.): Landesgesetz über die Schulen in Rheinland-Pfalz. Kommentar mit Ausführungsbestimmungen. Loseblatt. 3. Auflage. Wiesbaden 2003

Datenschutzrechtliche Rahmenbedingungen für die Zusammenarbeit von Jugendhilfe und Polizei bei der Kriminalitätsbekämpfung und -verhütung.
Herausgegeben vom Unabhängigen Landeszentrum für Datenschutz Schleswig-Holstein
Abrufbar unter https://www.datenschutzzentrum.de/artikel/1113-Zusammenarbeit-von-Schule-und-Jugendhilfe-hier-insbes.-zu-den-datenschutzrechtlichen-Anforderungen-an-die-personenbezogene-Zusammenarbeit.html#extended


Weitere Fallbeispiele

Weitere Fallbeispiele

Hier finden Sie ein zu Baustein 7.2 - Strafrecht - passendes Fallbeispiel.

Schüler A erklärt in dem Gästebuch der Schule B ausführlich, wie der Anbau von Cannabispflanzen am besten gelingt und vor Erwachsenen verheimlicht werden kann. Eltern erfahren dies und wollen nun rechtlich gegen die Schule vorgehen.

Lösung:

Das Zugänglichmachen jugendgefährdender Inhalte gegenüber Minderjährigen ist nach § 23 JMStV strafbar. Anbieter dieser Inhalte ist zunächst Schüler A. Werden illegale Inhalte in Gästebüchern auf dem Server der Schule verbreitet und wird dieser nicht regelmäßig auf rechtswidrige Inhalte überprüft, könnte eine Sorgfaltspflichtverletzung und damit eine Haftung der Schule in Frage kommen. Daher muss die Schule, sobald sie einen Hinweis auf rechtswidrige Inhalte erhält, diese sofort löschen.